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Vom Fichtelgebirge

Dr. Helmut Reinel, Hauptvorsitzender des Fichtelgebirgsvereins e.V.

Vorbemerkung: Am 26.10.2001 tagten die „Fachwarte Wandern“ des Verbandes Deutscher Gebirgs- und Wandervereine in Bischofsgrün. FGV-Hauptvorsitzender Dr. Helmut Reinel begrüßte die Teilnehmer und stellte das Fichtelgebirge vor.

Auf dem Gipfel des Ochsenkopfes wird beim Deutschen Wandertag 2002 die Schlusskundgebung stattfinden. Von allen Seiten her ist der Berg mit markierten Wanderwegen gut erschlossen. Wer weniger gut zu Fuß ist, kann von Süden oder Norden die Seilschwebebahn benutzen, mit ermäßigten Preisen (Hinweise dazu im Programmheft unter „Vergünstigungen mit der Plakette“).
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Viel schwieriger war die Besteigung des Berges in früherer Zeit im Mittelalter. Das erfahren wir aus der ältesten Beschreibung des Fichtelgebirges, aus dem Jahre 1476, mit der ich Sie auf unsere Tagung einstimmen möchte.

„Ein bergk, hoch, weitt, wohlbekant ligt
in Beiern, gnant der Fichtelberg, der ist
halb des pfaltzgraffen vnd halb des marggraven von ¹)
Brandenburg. Der ist nit wegsam, dan niemant kan
noch weiss den bergk zu gehn, dan allein die zingraber
vnd schindelmacher vnd desgleichen, dan man den bergk
muss gehn vnd steigen vber gros ronnen, tannen, stein
vnd fule gros baum. Vnd der bergk sint zwen  ²)

... Der bergk ist vast hoch vnd weidt, vnd ich
glaube, vnd ist ware, das er am hochsten in deut-
schen land dem lant noch ligt. Das merk hie eben:
am hochsten vff dem einen berg, do ist ein grosser sehe; ³)
aus dem sehe fliessen vier schiffreich wasser kreutz-
weiss in die welt. Das sint die: der Mein, die Nabe,
die Sale, die Eger, vnd wirt ware von dem berg
gesungen, das do lawt: mens impletur gratia; dan in 4)
dem wort mens werden begriffen die vier wasser, dan
M bedewt den Moyanum, das ist der Mein, E bedeut
Die Eger, N bedeut die Nabe, S die Sale. (Matthias von Kemnat)

Das war 1476. Drei Jahrhunderte später war es kein geringerer als J. W. Goethe (1785), der den Berg bei seiner ersten Reise ins Fichtelgebirge von Wunsiedel aus bestiegen hat, sicherlich nicht mit einer Outdoor-Ausrüstung, wie wir sie heute kennen, ohne Fotoapparat, jedoch ausgerüstet mit einem Skizzenblock, und mit einem Tagebuchschreiber als Begleiter. Zwei der Granitfelsgruppen, wie er sie in seinen Skizzen festgehalten hat, konnten erst vor wenigen Jahren in der Natur eindeutig identifiziert werden. Goethe als Naturforscher verdanken wir die erste brauchbare wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung der Granitfelstürme, der Block- und Felsenmeere: die Verwitterung war es, die diese Formen geschaffen hat, nicht gewaltige Sintfluten oder Vulkanausbrüche, womit der Streit der Neptunisten und Plutonisten beendet werden konnte.

Hundert Jahre später nach Goethe (er war dreimal im Fichtelgebirge), wurde in Wunsiedel der Fichtelgebirgsverein gegründet, genau 1888. Die dort bestehende „Sektion Fichtelgebirg“ des Alpenvereins wurde aufgelöst und in einen selbstständigen Verein umgewandelt. Seine Aufgabe war es, die Bereisung des Fichtelgebirges zu verbessern, das Fichtelgebirge für Einheimische und Gäste zu erschließen, den Fremdenverkehr zu fördern, letztlich die wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern, aber zugleich Natur und Landschaft zu bewahren. Der FGV hat heute 21.000 Mitglieder in über 50 Ortsgruppen (auch in Nürnberg, Berlin, Plauen und Aš/CS)

Dreimal war der FGV in seiner über hundertjährigen Geschichte bisher Gastgeber eines Deutschen Wandertages:
- zuletzt 1974 in Bayreuth, ein total verregneter Wandertag;
- 1952 in Bad Berneck, damals wurde die Deutsche Wanderjugend gegründet, die 2002 ihr 50jähriges Bestehen feiern kann; das war wohl auch einer der Hauptgründe, den FGV mit der Ausrichtung des Wandertages 2002 zu beauftragen;
- der erste Wandertag, ausgerichtet vom Fichtelgebirgsverein 1896 in Wunsiedel, ist bekannt geworden durch die erste Naturschutzerklärung des Verbandes. Es wurde Klage geführt über die Verunzierung der Landschaft durch industrielle Unternehmungen. Bei der Verleihung der Eichendorffplakette wird in der Begründung häufig darauf Bezug genommen. Natur und Denkmalschutz hat man jedoch den Einzelvereinen überlassen, weil die Verhältnisse in Deutschland recht unterschiedlich waren und der Umweltschutz noch einen niedrigen Stellenwert hatte.

Im Fichtelgebirge sind damals die ersten Porzellanfabriken entstanden, welche die Landschaft verunzierten, mit ihren Anlagen, den Scherbenhaufen, mit dem Rauch aus den Brennöfen, aber den hier lebenden Menschen Arbeit und Brot gaben. Umweltschutz und Schutz des Menschen am Arbeitsplatz waren zweitrangig, das Fichtelgebirge war industrielles Entwicklungsland, es kamen sogar Zuwanderer aus der nahen Oberpfalz, die hier Arbeit fanden und rasch integriert wurden. In der Oberpfalz und im inneren Fichtelgebirge, auch im Ascher und im Sächsischen Zipfel, spricht man den gleichen nordbaierischen Dialekt – hier in Bischofsgrün sind wir im fränkischen Teil. Dazu eine kleine Kostprobe:
„ a Bia gets ma und an Kas“ (Dr. Singer, Arzberg) – „ein Bier gebt mir und einen Käse“, so würde niemand im fränkischen Fichtelgebirge eine Brotzeit bestellen.

Die Porzellanindustrie war viele Jahre der Hauptindustriezweig im inneren Fichtelgebirge, vor allem wichtig nach dem Zweiten Weltkrieg für die vielen „Zuwanderer“, die lieber in ihrer angestammten Heimat geblieben wären. Es waren die Flüchtlinge und Vertriebene aus Schlesien, dem Sudentenland. (Beispiel: 1952 meine Abiturklasse in Selb: 50 % Einheimische, 50 % Flüchtlinge aus dem Sudetenland, aus Schlesien und Ostpreußen). Viele fanden hier eine neue Heimat, sie wurden integriert in den Jahren, als unsere Region nach dem 2. Weltkrieg in eine Totwinkellage geriet: im Norden die Grenze zur alten DDR, im Osten die Grenze zur Tschechoslowakei.

Diese Situation änderte sich vor gut zehn Jahren 1989. Wir haben die Vorgänge damals hautnah miterlebt: die Ankunft der Botschaftsflüchtlinge aus Prag mit Zügen über Dresden nach Hof. Und dann kam die Öffnung der Grenzen: Tausende kamen aus der alten DDR, um hier in unserer Region das Begrüßungsgeld zu empfangen, die Straßen im Fichtelgebirge waren total verstopft. Sie kamen in Massen zum Ochsenkopf, um den Berg zu sehen, der sie mit Informationen aus dem Westen versorgt hatte: Der Ochsenkopf - ein Symbol der Freiheit!

Diese Euphorie ist heute verflogen. Heute befindet sich das Fichtelgebirge an der Außengrenze der EU. Die europäische Integration und die Osterweiterung haben mit der Öffnung nach Osten immer mehr an Fahrt gewonnen. Hier in unserer Region treten die Chancen, Risiken, auch Probleme und Ängste schärfer zutage als im Innern Deutschlands. Im Norden die Höchstfördergebiete, im Osten die Niedriglohnländer. Hier: das Fördergefälle, die höchste Arbeitslosigkeit in Bayern! Da werden Betriebe aufgelöst, die Produktion nach Tschechien verlagert. Da das Jahr 2002 mit der Einführung des Euro einen besonderen Meilenstein in der Europäisierung setzt, musste wohl der Begriff „Europa“ im Motto unseres Wandertages erscheinen. Durch das Fichtelgebirge führte die Eurowanderung: Wanderer in ihrer Freizeit, Durchzügler, aber wir erfahren es tagtäglich, es gibt auch illegale Wanderer über die Grenzen am Werktag, legale, die hier Arbeit suchen und nach der Übergangsfrist auch legal - vielleicht eine neue Heimat suchen. Daher auch der Begriff „Heimat“ in unserem Motto: „Heimat in Europa“. Muss vielleicht der Heimatbegriff neu definiert werden? Fragen, mit der sich wohl die Fachwarte für Kultur beschäftigen bzw. die Diskussion der Kulturwarte im Herbst 2000 in Otzenhausen fortführen werden.

Anmerkungen:
¹) Historische Grenze
²) Ochsenkopf und Schneeberg
³) Hydrographischer Knoten
4) mens: „Der Geist wird vollendet durch Gnade“

 

 

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