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Von
den Ochsenkopf-Sagen Verfasser: C. Heider
A. Sagen und ihre Bedeutung in
heutiger Zeit
Bücher, Kino- und TV-Filme berauschen
unsere Welt, um uns zu unterhalten. Aber davon bleibt
wohl nichts für die Ewigkeit in unseren Köpfen
und Gedanken. Filme werden gesehen und meist nach ein
paar Jahren wieder vergessen, egal welch ein großer
Medienrummel im Vorfeld darüber herrscht. Selten
gibt es Filme, die nach 10 Jahren noch gesehen werden.
Bücher werden gelesen und bleiben dann meist den
Rest der Zeit im Regal stehen und verstauben. Dies sollte
man nicht verallgemeinern, es stellt jedoch meist den
Regelfall dar. Eines aber scheint nie auszusterben –
die Sage. Heldensagen, wie die von Siegfried und den
Nibelungen, wurden schon vor Jahrhunderten erzählt
und erst nach langer Zeit erstmals aufgeschrieben. Selbst
heute gibt es noch Menschen, die fest an den Schatz
im Rhein glauben, den Hagen der Sage nach dort versenkte.
Vor allem aber sind es immer wieder die Volkssagen,
Sagen der Heimat, die bereits Kinder im Grundschulalter
verzaubern und begeistern können. Auch mit dem
Alter geht der Reiz, der von den geheimnisvollen Geschichten
ausgeht, nicht verloren und immer wenn jemand anfängt,
eine Sage zu erzählen, findet er stets ein offenes
Ohr bei seinen Zuhörern. Sagen sind aber nicht
nur unterhaltsam, sie haben einiges mehr zu bieten,
als nur die Gänsehaut für den Moment. Ich
möchte daher in meiner Facharbeit näher auf
Bayreuths lokale Sagen und deren historische Hintergründe
eingehen. Speziell werde ich im kommenden Text die Sagen
rund um den Ochsenkopf, dem Wahrzeichen des Fichtelgebirges,
analysieren. In dieser Arbeit soll nur ein Auszug dessen
gegeben werden, was dieser Berg an Sagen und Geheimnissen
in sich birgt, weshalb ich nur auf die wichtigsten und
bekanntesten Motive eingehen möchte. Um den folgenden
Text besser zu verstehen empfiehlt es sich, vorher die
Sagen im Anhang zu lesen.
B. Analyse einer Auswahl der Ochsenkopfsagen
und deren historischen Hintergründe
I. Über Sagen allgemein
Bevor ich die Analyse der Ochsenkopfsagen
und deren historische Hintergründe aufführe,
möchte ich zuerst noch auf Sagen im Allgemeinen
eingehen. Darauf, was Sagen überhaupt sind, wie
sie sich entwickelt haben und wie sie bis heute erhalten
blieben. Der Begriff Sage (von: das Gesagte) wurde
von den Gebrüder Grimm geprägt, die zwischen
1816 und 1818 ihre zwei Bände „Deutsche Sagen“
veröffentlichten. Sagen sind „mündlich überlieferte
Erzählungen einer für wahr gehaltenen oder
auf einem wahren Kern beruhenden Begebenheit.“ Mit
der Zeit werden Sagen immer weiter verändert, indem
ein Erzähler einen Teil weglässt, hinzufügt
oder verändert. Oftmals sind Motive und Stoffe
einer Sage in mehreren Ländern und Kulturen anzutreffen;
man spricht von einer Wandersage. Dennoch sind solche
Wandersagen meist an lokale Gegebenheiten (z.B. die
Kirche im Ochsenkopf) angepasst um die Glaubwürdigkeit
aufrecht zu erhalten. Im deutschen Sprachgebrauch sind
Sagen immer Erzählungen, die etwas Sonderbares
in sich bergen und bis in das Metaphysische hineinreichen.
In der Regel liegt ihre Basis aber „in der nahe liegenden
Lebenswirklichkeit oder in der Geschichte“ , weshalb
Sagen einen höheren Realitätsanspruch als
Märchen haben. Sagen sollen meist belehren, mahnen,
warnen oder erklären. Heutzutage werden Sagen
gerne als „nette“ Geschichten betrachtet. Diese Bezeichnung
aber betitelt die Volkssage weit unter ihrem Wert. Es
handelt sich bei ihr meistens nicht um frei erfundene
Geschichten ohne Hintergrund, im Gegenteil. Die Sage,
vor allem die Volkssage, gibt uns Einblicke in das Denken
und Empfinden der Menschen im Mittelalter und der frühen
Neuzeit. Freilich darf man nicht alles, was man in den
Sagensammlungen so lesen kann, wörtlich hinnehmen.
Um die Entstehung von Sagen besser verstehen zu
können ist es wichtig, sich vor Augen zu führen,
dass wir heute in einer wissenschaftlichen Welt leben.
Dies bedeutet, dass alles, was der Mensch nicht weiß
oder was neu für ihn ist, untersucht und sachlich
erklärt wird. Gerade dieses rationale Denken existierte
im Mittelalter und der frühen Neuzeit noch nicht.
Für die Menschen war eine Trennung von Realität
und Fiktion, Wissen und Glauben nicht immer möglich,
da die Grenzen oft zu verschwimmen schienen, oder gar
nicht vorhanden waren. Durch die Sagen versuchte
man Erklärungen für das Rätselhafte zu
geben. Erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert
appellierten Philosophen und Gelehrte an die Vernunft.
Spekulation und Phantasie wurden ersetzt durch Empirismus
und Rationalismus als Grundlagen des Denkens, um eine
geordnete Welt aufzubauen. Bis dahin herrschte in den
Köpfen der Bürger eine fast schon kindliche
Naivität (ohne dies negativ bewerten zu wollen),
die versuchte, unerklärliche Geschehnisse im Gewand
der Sage begreiflich zu machen. „Die Aufklärung
hat einen bedeutenden Bruch verursacht, der uns Heutige
von mythischer Weltsicht unwiderruflich trennt.“ Viele
Sagen können daher heute auch als aussagekräftige
Quellen für die Wissenschaft und die Heimatforschung
angesehen werden, auch wenn dies in manchen Kreisen
stark umstritten ist. Weniger das Historische als
vielmehr das Mystische und Rätselhafte machte im
19. Jahrhundert die Romantiker auf die Sagen aufmerksam.
Die Gebrüder Grimm waren eine der Ersten, die Sagen
und Geschichten sammelten und lösten damit eine
wahre Renaissance der Sagen aus. Das Wort Romantik lässt
sich von Roman ableiten, was soviel wie phantastisch,
abenteuerlich und unrealistisch bedeutet. Daran wird
kenntlich, warum die Romantiker so an diesen heimat-
und volkskundlichen Erzählungen interessiert waren.
Viele Sagen erklären phantastische Naturerscheinungen,
andere erzählen von kleinen helfenden oder bösen
Geistern und Kobolden, wieder andere vom großen
Glück, das ein Mensch vielleicht findet. All diese
Motive passten in das Weltbild der Romantiker, die Gottes
herrliche Natur verehrten, das Geheimnisvolle liebten
und gerne in Herzschmerz und Melancholie verfielen.
Immer sich nach einer anderen Welt sehnend, in der das
Traumhafte Wirklichkeit wird.
II. Die Ochsenkopfsagen
1. Der Ochsenkopf
Der Ochsenkopf ist der bekannteste
Berg Oberfrankens und des Fichtelgebirges. Er liegt
etwa 20 Kilometer (Luftlinie) nordöstlich der oberfränkischen
Regierungsstadt Bayreuth und ist mit seiner Höhe
von 1024 Metern üNN der zweithöchste
Berg des Fichtelgebirges. Das Fichtelgebirge liegt im
Nordosten Bayerns und zählt zu den deutschen Mittelgebirgen.
Es bildet den Schnittpunkt von Thüringer Wald,
Oberpfälzer Wald und Erzgebirge. Das Gebirge besteht
aus einem nach Norden geneigten Schieferplateau, welchem
Granitkuppen aufgesetzt sind; so auch dem Ochsenkopf.
Außerdem entspringen am Ochsenkopf mehrere
Flüsse und Bäche. Die bekanntesten sind die
Fichtelnaab, die Steinach (bestehend aus Warmer und
Kalter Steinach) und der Weiße Main, welcher nach
seinem Zusammenfließen mit dem Roten Main (bei
Kulmbach) als Main in den Rhein und letztlich in die
Nordsee mündet. Außerdem verläuft auch
die Europäische Wasserscheide durch das Fichtelgebirge
und in der Nähe des Ochsenkopfes entspringen mehrere
Flüsse, die die großen Ströme Rhein,
Elbe nach Norden und die Donau nach Süden hin speisen.
Das Gebiet um den Ochsenkopf gilt als Erholungsgebiet
und so finden sich in den umliegenden Orten Warmensteinach,
Heilluftkurort Bischofsgrün, Oberwarmensteinach
und Fichtelberg (mit Neubau) zahlreiche Hotels, Schwimmbäder
und andere Freizeiteinrichtungen. Auch der Fichtelsee
zieht Sommer wie Winter zahlreiche Besucher an. Der
Ochsenkopf selbst ist für seine zwei Seilschwebebahnen,
die Wintersportmöglichkeiten (Skisprungschanze,
Abfahrten und Loipen) und die Sommerrodelbahn bekannt.
Mit seinem 1957/58 erbauten und 176,5 Meter hohen Fernseh-Sendeturm
des Bayerischen Rundfunks prägt der Berg das Bild
des Fichtelgebirges und ist schon aus der Ferne unverkennbar.
Früher war der Ochsenkopf als „der Hohe
Vichtelberg“ oder auch Fichtelberg bekannt . Der Name
Ochsenkopf wurde 1491 erstmals in einer Urkunde erwähnt,
die die Leihgabe „für ein Bergwerk auf dem Fichtelberg
bei dem Ochselnkopf“ verzeichnet. Das beschriebene
Bergwerk ist allem Anschein nach das so genannte Schneeloch,
ein inzwischen eingestürzter Stolleneingang, in
dessen unmittelbarer Nähe das Bild eines Stier-
oder Ochsenkopfes in eine Felsgruppe gemeißelt
ist (siehe Bild). Den Aussagen der Urkunde zu Folge
wurde bereits im 15. Jahrhundert die Gipfelregion nach
dem Tierkopf benannt. Im Verlauf der Jahre übertrug
sich der Name Ochsenkopf dann auf den gesamten Berg.
Bis heute ist die Herkunft des Namens nicht eindeutig
geklärt, es existieren aber verschiedene Theorien.
So berichtete 1692 der Pfarrer von Creußen, Magister
Will, einer der ersten Beschreiber des Ochsenkopfes,
in seinem Werk „Fichtelbergische teutsche Paradeiß“,
dass „die äußerliche Gestalt des Berges angesehen,
[…] einem in der Ruhe liegenden Ochsen so gar ungleich
nicht ist“ . Auch könnte der in Stein geschlagene
Tierkopf ein Symbol für den slawischen Gott Radegast
sein, dem vielleicht auf dem Berge geopfert wurde. Angeblich
verlief nämlich die Grenze zwischen den Franken
und den Slawen einst über den Ochsenkopf. So berichtet
auch eine Sage über eine Friedensstiftung am Fichtelberg.
Die slawischen Wenden, aber auch die Franken, opferten
auf dem Berge ihren Göttern, weshalb sich in diesem
Gebiet Kämpfe und Feindschaft zwischen den beiden
Völkern entwickelten. Schließlich hätten
ein Frankenfürst und eine slawische Königstochter
sich auf dem Berg kennen und lieben gelernt. Bei ihrer
Hochzeit wurde auf dem Berg ein großes Fest gefeiert
und Frieden zwischen den Völkern geschlossen, zu
dessen Erinnerung der wendische König einen Stierkopf
in den Stein schlagen lies. Eine andere Sage wiederum
erzählt, dass früher an den Hängen des
Berges Ochsen und Kühe weideten. Ein hiesiger Bauer
hätte einst einen Ochsen verloren und erst Jahre
später fand man dessen abgenagten Schädel.
Zur Erinnerung meißelte man dann das Bild in den
Stein. Am wahrscheinlichsten erscheint jedoch die Theorie,
dass der Tierkopf ein Zeichen der Alchemisten ist ,
denn in den Bergwerken am Ochsenkopf wurde Gold, Silber
Zinn, Eisen, aber auch Quecksilber abgebaut. Die
Alchemisten ordneten dem Planeten Merkur Quecksilber
zu. Das Symbol für Merkur sieht einem Stierkopf
recht ähnlich (siehe rechts). Da das Ochsenbildnis
bereits vor mehr als 400 Jahren genannt wurde, ist davon
auszugehen, dass der Stein im Laufe der Zeit verwitterte.
Bei einer Nachbearbeitung des Bildes wurde dann vielleicht
ein Ochsenkopf hineininterpretiert. Also könnte
der Ochsenkopf im Stein vielleicht ursprünglich
ein bergmännisches Kennzeichen für Quecksilberfundstellen
gewesen sein. Neben dem Stein beim Schneeloch (ca. 200
Meter nordwestlich des heutigen Asenturmes) beschrieb
bereits Will zwei weitere Steine mit Ochsenkopf-Bildern.
Einer steht im Wald am Fuße des Berges bei Neubau,
ein weiterer war schon zu Wills Zeiten als umgestürzt
bekannt und galt bis vor kurzem als verschollen. Erst
im Oktober 2003 wurde die umgefallene Säule wieder
entdeckt, nachgezeichnet und aufgerichtet. Sie
befindet sich ca. 50 Meter vom Schneeloch Hang abwärts,
direkt unter der heutigen Seilbahn. Wie auch immer das
Abbild in den Stein gelangte, es gilt als ziemlich sicher,
dass das Ochsenkopfbildnis in der Felsgruppe am Schneeloch
ausschlaggebend für den heutigen Bergnamen war.
Kaum ein anderer Berg in Oberfranken birgt einen derart
reichen Sagenkreis wie der Ochsenkopf. Berge zeigten
dem Menschen schon immer auf, dass er nur ein kleines
Wesen in der Schöpfung ist. Seit je her reizt es
den Menschen, Berge zu erklimmen. Ging es früher
einfach darum, den Göttern bei der Opferung so
nahe wie möglich zu sein, so ist es heute eben
die Naturgewalt und die Herausforderung, welche extreme
Bergsteiger in Hochgebirge lockt. Ein Berg wirkt mächtig
und groß und so ist es nicht verwunderlich, dass
sich gerade um jeweils die größten Berge
einer Region Sagen und Geschichten ranken. Für
die Oberfranken galt ihr Vichtelberg auch lange als
höchste Erhebung der Region. Erst vor rund 200
Jahren stellte man mittels modernerer Messmethoden fest,
dass der benachbarte Schneeberg mit 1051 Metern - wenn
auch nur geringfügig - höher ist. Ein
wesentlicher Aspekt für die Mystik des Ochsenkopfes
ist sein „edles Eingeweid“ . Denn wie an vielen Orten
im Fichtelgebirge wurden auch am Ochsenkopf verschiedene
Erze abgebaut. So entstand auch ein ganzer Sagenkreis
um die Venezianer (auch Walen genannt), die jedes Frühjahr
den weiten Weg aus dem Süden auf sich nahmen und
in Bergwerken und Bächen des Fichtelgebirges nach
besonderen Steinen schürften. Nicht nur auf Gold,
Silber und andere Edelmetalle hatten die Südländer
ihr Augenmerk gerichtet, sie waren vor allem auf der
Suche nach bunten Steinen, die in den Glasmanufakturen
von Venedig und Murano, die heute noch existieren, zum
dauerhaften Färben von Glas verwendet wurden. Da
diese Steine, wie z.B. Kobalt, in Italien sehr selten
sind, wurden sie etwa so hoch bezahlt wie Gold. Herberge
fanden die Venezianer oft bei einfachen Leuten in Bischofsgrün
und näherer Umgebung. Das Auftauchen der Fremdlinge
blieb nicht unbemerkt und in Sagen wird oft über
die Eigenarten der Italiener berichtet. So forderte
einer, der regelmäßig zu Gast im Fichtelgebirge
war, von seinen Gastgebern, dass sie niemals seine Stube
betreten sollten. Meist waren die Walen von früh
bis spät auf der Suche in Bächen und Bergen
und durch ihr fremdländisches Erscheinungsbild,
ihre kleinen Walenbüchlein, in denen sie ihre Fundstellen
notierten und ihre alchemistischen Kenntnisse wirkten
sie zweifelsohne sonderbar auf die Einheimischen. Der
Erfolg der „Venediger“ beim Suchen dieser Fichtelgebirgsschätze
bestätigte die Einheimischen in ihrem Misstrauen.
Einen Hinweis darauf liefert Caspar Brusch(ius), der
zweite Beschreiber des Ochsenkopfes, der in seiner „Gründlichen
Beschreibung des Fichtelbergs“ 1542 über die Walen
berichtete, dass sie „pflegen sich zu berühmen,
die Schätz unnd Reichthumb, so in des Teudschen
Landes Gebürgen verborgen ligen, seind ihnen (so
sie doch Frembdling sind) bekannter denn uns Teudschen
selbst.“ Und auch die Bezeichnung der Fremdländischen
als „welsche“ ist ein wichtiges Indiz für die Missgunst
der Einheimischen gegenüber den Gästen, da
mit dem Wort „welsch“ Italiener oder Franzosen in meist
abwertender Bedeutung gemeint sind. Um im
Herbst auf ihrem Rückweg in die Heimat nicht zwecks
ihrer wertvollen Fracht überfallen zu werden, ist
oft zu lesen, dass sich die Venezianer als Mausefallenverkäufer
und Hausierer verkleideten. In der Sage vom welschen
Gast, in der ein Bauer nach einem Brand Hilfe bei seinem
ehemaligen Stammgast in Venedig sucht, lebt dieser dort
in Reichtum, den er sich mit den im Fichtelgebirge geschürften
Materialen erworben hatte. Und die Sage über den
Welschen vom Ochsenkopf erzählt, „daß der
Fremde gar geheimer Künste mächtig sei“ ,
und unter anderem die Zeit verrücken könne.
Wir leben heute in einer Zeit, in der es kein Problem
mehr darstellt, innerhalb weniger Stunden in ferne Länder
zu reisen. Im späten Mittelalter jedoch – zu dieser
Zeit waren die Venezianer bewiesenermaßen im Fichtelgebirge
– kam ein einfacher Dorfbewohner vielleicht noch
nicht einmal aus dem Fichtelgebirge heraus, geschweige
denn nach Italien oder in ein anderes Land. Das fremde
Aussehen und Gehabe hinterließen bei den Einheimischen
einen bleibenden Eindruck. Später, als der Bergbau
im Fichtelgebirge verbessert werden sollte, wurden auch
Venezianer als Spezialisten geholt, die dann eine soziale
Sonderstellung besaßen. Die Einheimischen waren
sicherlich neidisch und beobachteten das Ganze mit viel
Argwohn. Aufgrund der Unkenntnis und der Rätsel
um der Welschen Treiben bildete sich ein ganzer Sagenkreis
über das Volk aus der Lagunenstadt. Ähnliche
Gründe gelten auch für die Bildung von Zwergensagen.
Die bekannteste der wenigen Sagen dieser Form vom Ochsenkopf
ist die von den drei Goldlaiblein, die ein Zwerg drei
Tiere hütenden Kindern schenkt. Will man der Geschichte
etwas Historisches abgewinnen, so darf man hier nicht
wirklich an ein Treffen mit einem Zwerg glauben. Vielmehr
gab es – sofern etwas Ähnliches jemals passiert
ist – vielleicht einen Venezianer, der den Kindern eine
Freude machen wollte und deshalb etwas Wertvolles im
Brot versteckt hatte. „Es ist offenbar ein durchgängiges
Kennzeichen „historischer“ Volkssagen, daß […]
frühere Beziehungen zu anderen gentilen Verbänden
[…] in der Sage unter dem Bild des Zwerges erscheinen
können.“ In einer älteren Untersuchung
wurde auch über ein eventuelles Auftauchen der
Römer als Zwerge in der deutschen Literatur spekuliert.
Hauptmotiv fast aller Sagen, die sich um den Ochsenkopf
drehen, ist die Kirche oder das Schloss im Berg, das
mit Gold, Silber und anderen Schätzen reich gefüllt
sein soll. Stets am Johannistag ist es dem Menschen
möglich, in die unterirdischen Schatzanlagen zu
gelangen. Oft wird dazu noch eine Zauberblume benötigt,
die nur am Johannitag wächst und gepflückt
werden kann. Wer den Eingang in den Berg findet, darf
sich aller Schätze dort bedienen, sofern er sie
tragen kann und nicht die Frist verstreichen lässt.
Während in den einen Sagen der Eingang nachts oder
in den Abendstunden zu finden ist, berichten andere
von der Mittagsstunde. In mehreren Sagen ist verzeichnet,
dass der Berg nur zu betreten ist, so lange der Pfarrer
in der Kirche von Bischofsgrün das Evangelium von
der Kanzel liest. Ist die Zeit um, so schließt
sich der Berg wieder und wer sich bis dahin nicht entfernt
bleibt bis zum nächsten Johannestag im Berg eingeschlossen,
wo er sich aber nicht seines Lebens fürchten muss
(Entrückungssage). Manch einem Warmensteinacher
oder Bischofsgrüner mag es vielleicht tatsächlich
einmal so ergangen sein, dass er zufällig in eine
Höhle oder stillgelegte Mine am Ochsenkopf geriet.
Der schillernde Anblick der Silberadern im Fels mag
im Licht einer kleinen Laterne oder Kerze einen fantasievollen
Menschen an eine geheime Geisterkirche aus Silber erinnert
haben (vgl. Bild Seite vorher). Und wer weiß…?
Vielleicht ist tatsächlich einmal jemand mit Kostbarkeiten
reich beladen vom Berg zurückgekehrt. Denn heute
weiß man, dass solche Schatzfindungssagen teilweise
tatsächlich stattfanden und es bereits im Mittelalter
spezialisierte Schatzsucher gab. Wurden jedoch solche
wertvollen Gegenstände, z.B. keltische Münzen,
gefunden, wurden sie meist eingeschmolzen, da damals
nicht der historische, sondern nur der materielle Wert
zählte. Der Wissenschaft gingen die Schätze
somit leider verloren. Ob es am Ochsenkopf tatsächlich
einen Schatz zu ergattern gab sei dahingestellt, „der
Traum vom unverhofften Glück [aber] war stets präsent
und auf keine bestimmte Epoche beschränkt.“
2. Der Johannitag
Ein immer wiederkehrendes Motiv in
deutschen Sagen ist der Johannitag. Im Sagenkreis des
Ochsenkopfes ist es fast immer anzutreffen. Um die
Herkunft und die Entstehung des Sonnwend- oder Johannitages
gibt es mehrere Erklärungen und Deutungen. Lediglich
darüber, dass dieses Fest seine Wurzeln in der
Zeit der Germanen hat, sind sich Experten einig. Bereits
vor über 2000 Jahren feierten die Germanen, die
Slaven und die Kelten am 21. Juni das Sonnwend- oder
auch Julfest. An diesem Tag hat die Sonne über
Mitteleuropa ihren höchsten Stand erreicht, das
Jahr hat seinen längsten Tag und die kürzeste
Nacht. Die Sonnenstunden nehmen wieder ab und die Nächte
werden länger. Die Germanen widmeten dieses Fest
der Göttin Frigg (Frigga), der Gattin des
Odin (Wodan), die als Fruchtbarkeitsgöttin vor
allem wegen ihrer Menschenfreundlichkeit und ihres „Sonnenglanzes“
verehrt wurde . Schon zu damaliger Zeit wurden anlässlich dieses
Festes Feuer entzündet, die auch dem Gott Baldur
(Balder, Baldr) gewidmet waren. Baldur war der Sohn
Friggs und Gott der Güte, des Gewitters, des Lichtes
sowie des Sommers. Das Feuer sollte ihn stärken,
da er von einem Mistelzweig, der einzigen „Waffe“, die
ihn verletzen konnte, lebensgefährlich getroffen
und dadurch von Tag zu Tag schwächer wurde (= Abnehmen
der Sonnenstunden, Einkehr der Nacht). In späterer
Zeit war den in Oberfranken und Restdeutschland missionierenden
Christen jeder heidnische Feiertag ein Dorn im Auge.
Das Winterjulfest, am 25. Dezember, ab welchem die Tage
wieder länger werden, wurde von den Christen bereits
mit dem heutigen Weihnachtsfest belegt, an dem man die
Geburt Jesu, dem „Licht der Welt“, feiert. Laut Bibel
(Lukas 1, 26-36) war Johannes der Täufer (Johannes
Baptista) ein halbes Jahr älter als Jesus. Im Jahr
506 n. Chr. nutzte die Kirche diese Aussage und bestimmte
die Nacht vom 24. auf den 25. Juni als Johannesnacht/Johanninacht
und gab so dem heidnischen Fest einen christlichen Inhalt.
Die Geburt Johannes des Täufers zu feiern war etwas
Besonderes, da unter den Heiligen bisher nur der Geburtstag
der Gottesmutter Maria gefeiert wurde. Der Johannitag
zählte zwar nicht als Feiertag, doch versuchte
die Kirche durchaus einen „Bauernfeiertag“ daraus
zu machen, ließ diese Idee jedoch nach kurzzeitigen
Versuchen wieder fallen. Obwohl die Kirche die vielen
altheidnischen Bräuche zu diesem Fest auf den Johannitag
übertrug – noch heute werden bei diesem Kirchenfest
Feuer entzündet – wurde (zumindest in Oberfranken)
der christliche Inhalt vom Volk nie wirklich angenommen.
Aber auch der germanische Ursprung geriet mit der Zeit
immer mehr in Vergessenheit. Dennoch war dieser
Tag schon immer ein besonderer und über die Jahre
hinweg entwickelten sich zahllose Geschichten um den
Johannitag, auf die sich bis heute viele Bräuche
beziehen. So war das Johannifest bis teilweise in die
dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ein Brauch,
der von Kult- und Geistervorstellungen mitbestimmt war.
Die Jultage, die 6 Tage vor und nach dem Johannestag,
besonders aber der 24. Juni selbst, galten als „Zaubertage“
und „Zaubernächte“, an denen Heil und Schicksal
für das kommende Jahr oder das restliche Leben
bestimmt wurden. Sowohl gute als auch böse Mächte
und Geister waren aufgrund ihrer „Geisterfreiheit“ besonders
aktiv. Insbesondere die Mittags- und Mitternachtszeit
bargen magische Kräfte. Im Wasser, in Brunnen und
Quellen, aber auch in Kräutern und Pflanzen sollte
dann große Heilkraft liegen. So glaubte man, dass
z.B. „Ein Trunk am Johannismorgen aus einer klaren Quelle
– von niemandem besehen -, Glück brachte fürs
ganze Jahr, wenn man vorher "ein heilbringendes
Kräuterlein“ in das Wasser geworfen hatte.“ Bekanntester
Brauch des Johannitages sind die abendlichen Johannesfeuer,
die im Bayreuther Kreis auch Kanzfeuer genannt
werden. Sie haben heute noch große Tradition.
Ursprünglich sollten sie reinigend wirken und vor
Unheil schützen. Man sieht, der Johannitag
ist ein geheimnisvoller Tag, der schon vor hunderten
von Jahren unsere Vorfahren in seinen Bann zog. Die
Faszination und Mystik dieses Tages besteht schon seit
der Zeit, als noch Germanen in Oberfranken siedelten.
So ist es kaum verwunderlich, dass in vielen Sagen –
nicht nur im Fichtelgebirge – der Johannitag oft als
der Tag gilt, an dem sich eine Sage abspielt oder an
dem etwas Besonderes möglich scheint. Im Zusammenhang
mit den Ochsenkopfsagen ist dies eben der Zutritt zu
den unterirdischen Schatzanlagen. Vergleicht man die
Sagen um den Fichtelberg, die am Julfest spielen, miteinander,
so fällt auf, dass der alte Volksglaube über
die Schicksalsbestimmung an diesem Tage immer vertreten
ist und sich der dargestellten Personen Schicksal im
Sagenverlauf wendet. Die einen – oft Sonntagskinder
– gelangen meist durch Zufall bzw. Schicksal zum edlen
Inhalt des Berges. Die, die das Geheimnis vom Gold für
sich bewahren, reinen Herzens sind und sich nur zur
erlaubten Zeit in den Hallen bewegen, denen blüht
eine gute Zukunft in Reichtum und fern von Not. Die
Habgierigen, die vor lauter Glanz und Raffsucht ihr
Kind im Berge oder schlichtweg die Zeit vergessen, werden
bestraft und gehen bestenfalls leer aus. Oft bleiben
sie auch ein Jahr oder länger im Berg verschollen
oder haben schlimmstenfalls Pech und Unglück für
den Rest ihrer Tage. Zur Entstehung dieses Schicksalsmotivs
in Verbindung mit der Schatzbergung sei weiterhin erklärt,
dass das Leben im Fichtelgebirge zur Zeit des Lehnswesens
kein einfaches war und somit der Wunsch nach Erleichterung
der Arbeit und des Lebens ständig vorhanden war.
Dieser Wunsch schlug sich in den Sagen nieder. Ein armer
Mensch sollte vom Schicksal nicht im Stich gelassen
werden und es setzte sich der Glaube nach einer Art
ausgleichender Gerechtigkeit fest. Für jeden bestand
somit Hoffnung auf eine Besserung der Lebensumstände.
Eine Extremform dieser Haltung ist das Cargo-Denken,
dass man in der Ethnologie findet. „Manche Naturvölker
haben sich so gewöhnt an das Auftauchen eines […]
Schiffes oder Flugzeugs mit schöner und erwünschter
Ladung (=Cargo), daß die Hoffnung auf ein solches
Cargo geradezu zum Religionsbestandteil wurde, wenn
nicht zum Religionsersatz.“ Der moderne Mensch
heute träumt im Vergleich dazu beispielsweise von
einem Gewinn in der Lotterie. Diesen Sagentypus mit
dem Schatzmotiv findet man nahezu überall in Oberfranken
und Deutschland.
3. Die Zauberblume
In den Sagen des Ochsenkopfes heißt
es immer wieder von einer Zauberblume, die nur am Johannitag
wächst und ohne die der Eintritt in die verborgenen
Schatzwelten verwehrt bleibt. Den Beschreibungen
zufolge handelt es sich bei der genannten Pflanze um
Bergwohlverleih, welches auch unter dem Namen Arnika
(Arnica montana) bekannt ist. Bergwohlverleih war einst
eine typische Pflanze des Fichtelgebirges. Sie ist ein
Korbblütler und wird 30-60 cm hoch. An ihren langen Stängeln,
häufig mit Verzweigungen, sitzen bis zu 6 gelbe
Blüten, die mit ihren spitz zulaufenden langen
Blättern an eine Sonne erinnern. Die Arnika blüht
zwischen Juni und August, also auch am Johannestag,
weshalb der Name Johannisblume oder Kanzblume (in Oberfranken)
weit verbreitet ist. Im Volk kam der Johannisblume
ab dem 16. Jahrhundert große Bedeutung zu, als
man ihre Heilwirkung entdeckte. Damals wie heute wirken
die Inhaltstoffe der Pflanze krampflösend und schmerzlindernd,
weshalb eine Tinktur aus frischen Blüten zusammen
mit Weingeist bei Quetschungen, Stoßverletzungen
und langsam heilenden Wunden eingesetzt wird. Auch der
Dichter und Naturwissenschaftler Johann Wolfgang von
Goethe wusste um die Kraft der Pflanze und beschrieb
die anregende Wirkung von Arnika-Herztropfen. Viele
Johannisbräuche taten sich mit den Jahren um diese
Blume auf. Sie galt als Schutzpflanze und wurde daher
zur Sommersonnenwende z.B. auf die Dachböden gelegt,
um die Häuser vor Blitz und Hagel zu schützen.
Auch Zauber sollte sie abwehren, weshalb noch heute
manche Bauern im Fichtelgebirge am Johannitag ihre Getreidefelder
mit Bergwohlverleih abstecken, um sie vor dem Dämon
„Bilmeschneider“ (Bilmes, Pilmes) zu schützen,
der sonst nachts mit Sicheln an den Beinen über
das Feld laufen und somit die Ernte zerstören würde.
Natürlich gilt dies heute nur noch als Brauch,
weniger als Glaube. Wie wurde nun gerade die Arnika
zur sagenumwobenen Zauberblume? Während diese Pflanze
heute unter Naturschutz steht und nicht mehr häufig
zu finden ist, war sie noch Anfang des 20. Jahrhunderts
keine Seltenheit. Man kann daher ausschließen,
dass dieses Motiv auf die Rarität der Blume zurückzuführen
ist. Vielmehr ist die Bedeutung der Arnika für
das Volk Auslöser genug, dass sich diese Pflanze
in den Sagen festsetzte. Es lässt sich aber auch
ein Bezug der Zauberpflanze zur Romantik finden. Denn
ein Leitmotiv dieser naturverbundenen Epoche ist die
„blaue Blume“, die Novalis in seinem „Heinrich von Ofterdingen“
erstmals nannte. Die blaue Blume symbolisiert für
die Romantiker etwas, was schwierig zu erreichen ist,
eine Sehnsucht, die man nicht aussprechen kann und die
rational nicht verständlich ist. In den Sagen um
die Zauberblume ist es durch sie möglich, zu Reichtum
und Glück zu gelangen und die schwierigen Lebensverhältnisse
zu verbessern, also auch eine Sehnsucht. Ein gutes Beispiel,
um diesen Wunsch zu verdeutlichen bietet die erste Strophe
des Gedichtes „Die blaue Blume“ von Joseph von Eichendorff:
„Ich suche die blaue Blume, Ich
suche und finde sie nie, Mir träumt, daß
in der Blume Mein gutes Glück mir blüh.
…“
Man weiß letztendlich nicht,
wie lange die Zauberblume in den Sagen schon existiert.
In den von mir gelesenen Sagen ist nur eine, die vom
Schatz im Berg handelt, mit einer Jahreszahl versehen.
Ein gewisser Pachelbel schrieb 1716, also vor der Romantik,
die Sage von der Ochsenkopfkirche auf. Er verwendete
dabei nicht das Motiv der Zauberblume, die als Schlüssel
benötigt wird. Im „Oberfränkischen Sagenschatz“
findet sich auch die Sage von der Wunderblume. Anhand
der edler wirkenden Wortwahl lässt sich vermuten,
dass diese Sage zu einem späteren Zeitpunkt für
eine Sagensammlung niedergeschrieben wurde, etwa im
19. Jahrhundert. Dies unterstützt (beweist aber
nicht!) die Theorie, dass das Blumenmotiv beim Sammeln
der Sagen von den Romantikern hinzugedichtet wurde.
4. Die schlafenden Könige vom
Ochsenkopf
Den Sagen nach beherbergt der Ochsenkopf
nicht nur die unterirdische Kirche oder die reich gefüllten
Schatzhallen. Auch ein König soll samt seines Heeres
im Berge ruhen. Bewacht wird der König von Hunden
und in gewissen Abständen gibt ihm ein Vogel oder
ein Knecht Kunde von den Geschehnissen in der restlichen
Welt. Ist des Königs Bart dann bestimmte Male oft
um einen vor dem Throne stehenden Steintisch herum gewachsen,
so erwachen König und Krieger, um die letzte Schlacht
zu bestreiten (als deren Kontrahent in einer einzigen
Ausführung der Antichrist, also Satan, genannt
ist ). Im Sagenkreis des Ochsenkopfes tauchen mehrere
Versionen dieser Sage auf, die sich aber nur unwesentlich
voneinander unterscheiden. Meist ist die Rede von Kaiser
Karl dem Großen, der im 8. und 9. Jahrhundert
n. Chr. als König des Frankenreiches für die
Verbreitung des Christentums gen Osten gesorgt hatte.
Laut einer zweiten, stark verbreiteten Version soll
es der weise König Salomo gewesen sein, dessen
Sarg von einem 6-spännigen Ochsenkarren führerlos
ziehen gelassen wurde, um eine Grabesstätte für
den König zu suchen und auf diese Weise bis ins
Fichtelgebirge in den Ochsenkopf gelangte. Die
Sagen sind sich sehr ähnlich und teilweise sind
nur die Namen der Könige vertauscht. Es sind noch
zwei weitere weniger bekannte Versionen verzeichnet,
in denen Prinz Karl und ein anderes mal Friedrich Barbarossa
als schlafende Herrscher notiert sind. Doch auch die
beiden bekannteren Sagenausführungen sind in den
Orten in unmittelbarer Nähe des Ochsenkopfes unterschiedlich
bekannt, wie eine Nachforschung von Josef Babo im Jahre
1939 belegte. Tabelle:
|
Neubau |
Warmensteinach |
Oberwarmensteinach |
Bischofsgrün |
Kaiser Karl |
0,00% |
85,68 % |
26,10 % |
0,00 % |
König
Salomo |
36,63 % |
0,00 % |
8,70 % |
50,00 % |
Man sieht, dass der Bekanntheitsgrad
der verschiedenen Königssagen in einem kleinen
Gebiet sehr unterschiedlich ist, was die Karte verdeutlicht.
Während die Sagen von der Kirche im Berg oder über
die Namensgebung des Berges in selbigen Orten mit rund
70 % bzw. 61 % recht stark und gleichmäßig
bekannt sind, kennen nur 51,78 % die Königssagen.
Dies deutet darauf hin, dass es sich bei diesen
Erzählungen um Wandersagen handelt, d.h. Sagen,
die nicht nur in einer Region beheimatet sind. Bestätigt
wird diese Theorie durch das Antreffen des gleichen
Motivs in anderen Regionen des germanischen Raumes.
So soll im Berg Kyffhäuser im Harz Friedrich II.
(in späteren Erzählungen Friedrich I. Barbarossa)
schlafen, während Karl der Große angeblich
auch im österreichischen Untersberg bei Salzburg
liegt. Will man eine Erklärung für das Motiv
der Könige im Berg finden, so muss man bis in die
Zeit der Christianisierung Germaniens zurückforschen.
Denn bei der Verdrängung der germanischen Religion
durch das Christentum versetzte das Volk seine Götter
gedanklich in das Innere der Berge, auf denen sie ihnen
sonst Opfergaben bereiteten. Denn nach germanischem
Glauben lebten die Toten, aber auch die abgesetzten
Götter, in den Bergen weiter. In der Vorstellung
der christianisierten Germanen musste nun der höchste
Gott der Asen, Odin oder Wodan, im Himmel Platz für
den christlichen Gott schaffen. So lebte er für
das Volk im Berg weiter, „in der festen Hoffnung, daß
er eines Tages aus seinem neuen Reich zum letzten Streit
wiederkehren würde.“ Mit der Zeit verbreitete
sich das Christentum mehr und mehr und im Volk war kein
Misstrauen mehr gegen die ehemals fremde Religion. So
geschah es, dass die Sagen über den alten germanischen
Göttervater auf mächtige, christliche Könige
umgedichtet wurden, welche genau wie Wodan, „die Welt
in ihren Händen hielten.“ Aus den Forschungsergebnissen
von Josef Babo ist auch zu entnehmen, dass die Sagen-Version
des Kaisers Karl (27,95%) in der Region verbreiteter
ist als die des Königs Salomo (23,85%). Warum also
liegt der Sage nach gerade Karl der Große im Ochsenkopf,
obwohl er doch bekanntermaßen nach seinem Tode
im Jahr 814 n. Chr. in der Aachener Pfalzkapelle beigesetzt
wurde? Hierfür findet sich eine historische Erklärung:
Wie die Altstraßenforschung herausfand, führte
Karls Slawenfeldzug in den Jahren 805 bis 806 auch durch
das Fichtelgebirge, als durch den Sieg gegen die Böhmen
die fränkische Einflussnahme im Osten des fränkischen
Reiches vergrößert wurde. Auch die Wahrscheinlichkeit,
König Salomo tatsächlich im Ochsenkopf zu
finden, ist wohl aufgrund der Entfernung Israel-Judäas
zum Ochsenkopf eher unwahrscheinlich. Schließlich
wurde Salomo laut der Sage von einem Ochsenkarren gezogen.
Genauso unrealistisch scheint, dass die Grabstätte
Barbarossas in Oberfranken ist. Friedrich I. ertrank
nämlich 1190 n. Chr. im Fluss Saleph (heute Göksu)
in der Türkei. Folglich kann man davon ausgehen,
dass sich der Wahrheitsgehalt der Ochsenkopfsagen in
Bezug auf das Motiv des Königs im Berg äußerst
gering hält. Es handelt sich hierbei also nicht
um Memorate, d.h. Sagen, die tatsächliche historische
Ereignisse beschreiben. Dass solche Memorate mit Grabes-
oder anderen Ortsangaben jedoch nicht an den Haaren
herbeigezogener Humbug sein müssen, zeigen z.B.
die Ausgrabung der Stadt Troja und die Skelettfunde
in der Jungfernhöhle bei Tiefenellern bei Bamberg,
die aufgrund von Sagenbeschreibungen durchgeführt
wurden. Das Erscheinen Karl des Großen im
Fichtelgebirge im Zusammenhang mit dem Slawenfeldzug
bleibt also die bisher einzige belegbare Herkunft des
Königsmotivs. Scheinbar hat also dieser mächtige
König bei seinem Auftauchen im Fichtelgebirge einen
so faszinierenden Eindruck hinterlassen, dass die anderen
Sagenvariationen erst im Laufe der Zeit ihren Weg zum
Ochsenkopf fanden. Auch im Staatsgebiet des heutigen
Frankreichs sind einige Sagen und Epen über Karl
den Großen, die so genannten Karlssagen, bekannt.
Mit den Jahren vermischten sich allem
Anschein nach die ortsansässigen Sagen von der
Kirche im Berg mit den Königssagen und so wurde
die Sage umgedichtet, so dass nun König Salomo
in der Kirche liegen soll. Ein befremdendes Geräusch,
das ein einfacher Mann vielleicht in einem der Bergwerke
gehört haben mag, verlieh der Sage des schlafenden
Salomos möglicherweise „das tiefe Atmen des Königs
hinterm Altar“ . Auch die Sagen vom Schmied im Ochsenkopf,
welcher eine Vielzahl Rosse beschlagen soll und
vom geheimnisvollen Schloss am Ochsenkopf, lassen Rückschlüsse
auf ein Heer im Berg zu. Im Erfinden dieser Geschichte
oder in einem Traum, der aufgrund damaliger Naivität
als Realität gedeutet wurde liegt vielleicht das
Wunschdenken der Fichtelgebirgler, dass ihrer ruhigen
und ländlichen Gegend etwas Besonderes zu Teil
wird. Vielleicht suchte man mehr oder weniger unbewusst
nach einer Bestätigung für den mächtigen
Mann im Berge, der eines Tages wieder Glanz und Ruhm
verbreiten würde.
C. Eigener Kommentar über
Sagen
Im Laufe meiner Recherchen habe ich
in den vergangenen Monaten zahlreiche Sagen aus Bayreuth
und Oberfranken kennen gelernt. Ich war erstaunt, wie
groß und artenreich der oberfränkische Sagenkreis
ist. Speziell aber von den Ochsenkopfsagen geht ein
gewisser Reiz aus, weswegen ich mich für dieses
Facharbeitsthema entschlossen habe. Der Ochsenkopf
bietet eine ungeheure Sagenvielfalt, so dass es
im Rahmen der Facharbeit nur möglich ist, eine
Auswahl der bekanntesten und häufigsten Sagenmotive
zu untersuchen. Die Sagen von der wilden Jagd, der Trauung
im Berg, den Feilenhauern und den Moosweiblein sind
ein paar der Erzählungen, die einfach nicht mehr
unterzubringen waren. Es ist faszinierend zu sehen,
welch geheimnisvolle Wirkung dieser Berg auf die frühere
Bevölkerung des Fichtelgebirges ausübte. Heute,
da der Berg durch Wege und Seilbahnen schnell erklommen
werden kann – der Ochsenkopf galt früher als äußerst
unwegsam – hat er natürlich an Rätselhaftigkeit
und Mystik verloren. Die Begeisterung für diesem
Berg aber ist bei vielen dennoch ungebrochen und in
der Region finden sich zahlreiche Heimatforscher und
-interessierte,
die Bücher und Artikel über den Ochsenkopf
verfassen; allen voran Gustav Schmidt. Und auch der
Bischofsgrüner Max Braun wollte nicht aufgeben,
das verschollene dritte Ochsenkopfbildnis zu suchen.
Im Oktober 2003 bekam er den Lohn für seine lange
Suche und entdeckte die verschwundene Granitsäule.
Es hat mir Spaß gemacht, den Berg selbst
zu besuchen, um sich von den sagenumwobenen Örtlichkeiten
ein eigenes Bild zu machen und sich durch Bücher
und Magazine zu arbeiten, um den Sagen auf den Grund
zu kommen. Abschließend möchte ich noch mitteilen,
dass es ein schwieriges – vielleicht sogar unmögliches
– Unterfangen ist, Sagen in irgendeiner Weise beweisen
zu wollen. Dennoch ist man immer wieder überrascht,
wenn man Verknüpfungen und Parallelen zwischen
historischen Ereignissen und Sagen finden kann. Sagen,
heißt es, enthalten immer ein Fünkchen Wahrheit
– Ein Fünkchen, dass ein Feuer der Begeisterung
entfachen kann. I. D.
Foto-Anhang
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Das Wahrzeichen
des Ochsenkopfes befindet sich ca. 200m
nordwestlich des Asenturmes in einer Felsgruppe.
Im Hintergrund ist rechts Bischofsgrün
zu erkennen. |
|
Blick von Norden
auf das Schneeloch (eingezäunt), das
als der sagenumwobene Eingang in den Berg
gilt. Es war früher ein Stolleneingang,
der heute verschüttet ist. Das Ochsenkopf-Wahrzeichen
befindet sich auf der im Hintergrund befindlichen
Felsgruppe. |
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Blick von oben
auf das Schneeloch (Blickrichtung nordwestlich),
links die Felsgruppe. |
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Im Oktober 2003
entdeckte Max Braun die lange Zeit verschollene
Steinsäule, mit dem Ochsenkopfbildnis,
unterhalb des Gipfels. Das Bild wurde mit
Eisenfarbe nachgezeichnet und die Säule
wieder aufgerichtet. |
|
Der Asenturm
wurde (in dieser Granitbauweise) 1922/23
erbaut. Er ist der ältere der beiden
Ochsenkopftürme und markiert zugleich
den Gipfel. Der Asenturm wurde als Aussichtsplattform
gebaut und ist bewirtet. Den Namen trägt
er vom germanischen Göttergeschlecht
der Asen. |
|
In der Eingangshalle
des Asenturmes sind auf zwei Granittafeln
berühmte Ochsenkopf-Besucher und die
Personen verzeichnet, die sich um den Berg
verdient gemacht haben. An zweiter
Stelle ist hier Caspar Brusch(ius) verzeichnet,
danach folgt der Creußener Pfarrer,
M.J. Will. Pachelbel, der die Sage von der
Ochsenkopfkirche aufschrieb steht an fünfter
Stelle. Auch Johann Paul Friedrich Richter,
alias Jean Paul, besuchte den Fichtelberg |
|
Der Funkturm
des Bayerischen Rundfunks prägt das
Erscheinungsbild des Ochsenkopfes. Er misst
176,5 Meter und steht auf einer Höhe
von 1013 Meter üNN. Der Turm ist am
Fundament 22 m breit, an der Spitze nur
2 Meter. Diese schwankt bei starkem Wind
bis zu 1,5 Meter aus. |
|
Blick über
Bischofsgrün auf den Ochsenkopf |
F. Literaturverzeichnis: Primärliteratur:
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in: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks
Oberfranken, Bayreuth, 1991, Nr. 181 Herrmann A.,
„Sagen und Geschichten aus Warmensteinach und seiner
näheren Umgebung“, Selbstverlag des Herausgebers,
Warmensteinach, Auflage unbekannt, 1986 Hinze C.
& Diederichs U. (Hrsg.), „Fränkische Sagen“,
Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf – Köln,
1. Auflage, 1980 Schmidt G., „Bayreuther Sagenschatz“,
Gondrom, Bindlach, Auflage unbekannt, 1986 Schmidt
G., „Oberfränkischer Sagenschatz“, Gondrom, Bindlach,
Auflage unbekannt, 1988 Schmidt G., „Ochsenkopfsagen“,
in: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks
Oberfranken, Bayreuth, 1997, Nr. 247 Sekundärliteratur:
Becher A. und Schmidt G., „Von Walpurgis bis Johannis“,
in: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks
Oberfranken, Bayreuth, 1991, Nr. 175 Dr. Weiser
E. (Hrsg.), „Moderner Ärztlicher Ratgeber“, Orion-Verlags
GmbH, Wiesbaden, Auflage unbekannt, 1968 Friedrich
M. (Hrsg.), „Im Jahreskreis – Das Brauchtum im Landkreis
Bayreuth“, Bayreuth, 1. Auflage, 1991 Hanika J.,
„Die Volkssage im Fichtelgebirge und seinem Umland“,
Reta Baumann Verlag, Bayreuth, Auflage unbekannt, o.J.
Herrmann E., „Beiträge zur Sagenforschung“, in:
Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks
Oberfranken, Bayreuth, 1983, Nr. 99 Lexikon-Institut
Bertelsmann (Hrsg.), „Bertelsmann Lexikon Band 12“,
Bertelsmann Lexikothek Verlag, Gütersloh,
Auflage unbekannt, 1991 Lexikon-Institut Bertelsmann
(Hrsg.), „Bertelsmann Lexikon Band 15“, Bertelsmann
Lexikothek Verlag, Gütersloh, Auflage unbekannt,
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Fichtelgebirge“, Hoermann-Verlag, Hof/Saale, 6. Auflage,
1987 Radunz E., „Pflanzen in Sprache, Sage und Brauchtum
Oberfrankens“, in: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger
es Regierungsbezirkes Oberfranken, Bayreuth, 1990, Nr.
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Bayreuth, 1988, Nr.140 Schmidt Gustav (Hrsg.), „Oberfränkisches
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1. Auflage, 1994 Schmidt G., „der Ochsenkopf“, in:
Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks
Oberfranken, Bayreuth, 1997, Nr. 241 Schmidt G.,
„Sonnwendfeier und –feuer – Alter Brauch in Oberfranken“,
in: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks
Oberfranken, Bayreuth, 1999, Nr. 262 Stadler H.
(Hrsg.), „Texte und Methoden 12“, Cornelsen, Berlin,
1. Auflage, 1993 Von Menzel-Tettenborn H., „Das
Reich der Pflanzen“, Bertelsmann Lexikothek Verlag,
Gütersloh, Auflage unbekannt, 1991 Zeitungsartikel:
Seelbinder W., „Die alte Granitsäule des Magister
Will“, in: Nordbayerischer Kurier vom 14.10.2003
Internetseiten & Software: http://gutenberg.spiegel.de/autoren/grimm.htm
http://www.bayernwetter.de/mythos.htm http://www.sagen.at/infos_quellen_links/def_sagen.htm
http://www.net-lexikon.de/Sage.html http://www1.uni-bremen.de/~semiotik/dee.html
http://www.digitalefolien.de/biologie/pflanzen/arnika.html#
http://www.onlinekunst.de/mai/02_05_blaue_blume.html
http://www.raehse.de/jo/mytho/lex/germ_F.html#G2842
http://www.raehse.de/jo/mytho/lex/germ_B.html http://www.religioeses-brauchtum.de/sommer/johannistag.html
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